Wir dachten, wir gießen unseren ersten Tourstopp in ein paar Zeilen. Manfred Mainstream, ein interessierter Zuschauer tat es uns gleich. Zwei Perspektiven auf einen Abend. Ihr wollt euch auch gern zu Wort melden? Dann schreibt uns einfach (hello[ÄÄTT]blackstreets-magazine.com) und wir ergänzen diesen Beitrag gern mit euren Wortmeldungen, Einschätzungen und Kritiken. Und nein, wir wollen keine Lobpreisungen und dergleichen. Wir freuen uns über ehrliches Feedback. Nun aber ans Material:
- Perspektive Eins -
Und auf einmal war es soweit. Es war
der 5.10.2018. Unsere Pixadores Kino-Tour sollte heute beginnen. Wir
haben so viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt, dass es auf einmal
ganz unwirklich erscheint. Nun sollten wir also angekommen sein?
Dafür hatten wir also die ganze Zeit gearbeitet? Großartig.
Seit
Wochen war ich aufgeregt. Alles stand irgendwie Kopf; und kaum etwas
schaffte es in meinem Alltag diese Vorfreunde zu überbieten
(Abgesehen von meiner Tochter, die ja über allem schwebt). Vor
diesem Hintergrund war es wenig verwunderlich, dass ich nicht erst,
wie verabredet um 18 Uhr im Kulturquartier auflaufen konnte. Die
Unruhe ließ mich nirgends mehr Platz finden. Ich musste einfach los.
Thomas, der einen Großteil der Vorbereitungen von Seiten des
Kulturquartiers trug, ließ mich zu meinem Glück wissen, dass er
schon gegen 16 Uhr vor Ort sein wird. Ein Traum.
Mit dem Feierabend
ging es nach Hause, alles eingepackt und dann los mit dem Rad; und
meinen vielen Beuteln. Mit der warmen Oktobersonne im Gesicht saß
ich dann auf den Stufen des Kulturquartiers, was in Erfurt vor allem
unter dem Namen „Altes Schauspielhaus“ bekannt ist. Ein Haus mit
Tradition und vielen Geschichten. Offenbar war jeder in Erfurt früher
schon mal dort gewesen. Als es noch ein offenes Haus war. Dies ist
mittlerweile über 13 Jahre her. 13 Jahre Leerstand – unglaublich.
Und auf einmal hauchte man ihm wieder Leben ein, diesem schönen,
großen Haus.
Viele engagierte Leute haben dies möglich gemacht. Sie
schlossen sich in einem Verein zusammen und gründeten eine
Genossenschaft, eine Kulturgenossenschaft um genau zu sein. Auf
diesem Weg versuchen sie nicht nur die finanziellen Voraussetzungen
für die Instandhaltung des Gebäudes zu realisieren, sondern auch
der Bürgerbeteiligung eine Plattform zu bieten. Ein wunderbares
Projekt mit tollen Menschen.
Thomas und Stefan legten dann
einfach los, mit der Technik und dem ganzen Programm, um das Haus auf
Betriebstemperatur zu bringen. Eine angenehme Ruhe lag in der Luft.
Und ich konnte in bester Langsamkeit alle Aufkleber auslegen und die
vielen anderen Sachen, die wir im Gepäck hatten. Alles fand seine
Form und der Abend wurde langsam konkret. Wie viele Leute kommen
würden, ich wusste es nicht; und hatte auch kein Gefühl. Kurz nach
19 Uhr standen die ersten Leute vor der Tür. Ein gutes Zeichen?! Und
dann ging alles ganz schnell. Immer mehr Menschen kamen und strömten
ins Haus. Bekannte Gesichter, Freunde, nette Unbekannte und
Interessierte. Ich fand es schön zu sehen, wie viele sich von ihnen
über unsere Aufkleber freuten. Aufkleberfreunde gibt es eben
überall; egal, wie alt sie sind. Der Ticker, der die BesucherInnen
zählen sollte, tackerte und ließ kurz vor 20 Uhr erkennen, dass
bereits 80 Leute im Saal Platz genommen hatten. Damit sollte
eigentlich Schluss sein. Aber. Es kamen eben noch ein paar. 20:10
Uhr schlossen wir die Eingangstür. Nun aber schnell hoch, in die erste
Etage, um unsere Gäste zu begrüßen.
WOOOWWW. Mit einmal stand ich
vor unserem ersten Publikum. Und es war wunderbar. Alle Plätze waren
belegt, Leute saßen links und rechts auf den Treppen und teilweise
direkt vor der Bühne auf dem Boden. Ich war begeistert. Und
megafroh. Ausverkauftes Haus. Yeah! Thomas sprach die ersten Worte.
Und dann erzählte ich noch einen Schwung, zur Tour, der Idee und dem
ganzen Drumherum. Verrückt in so viele Gesichter zu blicken, die
einem zuhören. Spreche ich zu schnell, macht das Sinn, was ich
erzähle und kann man mich überhaupt verstehen? Die Klassiker eben.
Doch es lief super. Vielleicht auch weil Johanna kurz vor Beginn mir
aus der letzten Reihe noch die besten Glückwünsche übermittelte.
Ein ausgestreckter Daum. Dann konnte ja nichts schief gehen. Eine
schöne Atmosphäre schwang durch den Raum. Unvergesslich. Und dann
ging es los. Ich gönnte mir die ersten Filmminuten und gab dann meinen
Stehplatz am Eingang frei.
Den größten Teil der Zeit verbrachte ich
vor dem Haus. Und dann; auf einmal kamen die ersten Raucher und damit
die ersten Gespräche. Manfred Mainstream war einer von ihnen. Die
Gespräche rissen nicht ab. Kurz vor 22 Uhr war der Film dann zu
Ende. Eine große Menschentraube ergoss sich ins Foyer. Es gab
Nachfragen, Gratulationen, Danksagungen und Diskussionen. Ein
spannender und zugleich schöner Moment. Viele blieben noch eine
Weile, standen zusammen und ließen den Abend vorüberziehen. Ich war
(und bin) sehr, sehr glücklich und unendlich zufrieden. Es war ein
wunderbarer und ja, auch perfekter Abend und Start in unsere Tour. So
kann es gern weitergehen!
Danke an alle, die diesen Abend möglich
gemacht haben. Danke an das Kulturquartier, Thomas, Stefan und Karina
und die vielen anderen netten Crewleute. Danke an Alle, die für
diesen Abend die Werbetrommel gerührt haben. Und natürlich Danke an
Euch, unser wunderbares Publikum. Danke für die vielen Spenden.
Danke für diesen schönen Abend. Und Danke, dass ihr das hier alles
möglich macht.
07.10.18 / Tom / Rotzfrech Cinema
- Perspektive Zwei -
Jeder, der schon einmal Kontakt mit der
Graffitiwelt hatte, eine Dose im nächtlichen Laternenflimmern
gedrückt hat, oder aber anderweitig Adrenalin ausgeschüttet hat,
fühlt sich wie automatisch angezogen von der Dokumentation der vier
brasilianischen Jungs.
So auch ein großer Teil der Erfurter,
ja der gesamten Thüringer Graffitiszene. Ausverkauftes Haus im
Kulturquartier, alle Plätze belegt.
Als äußerst aktiver Maler auch für
mich eine Pflichtveranstaltung, bei der ich schon vor der
eigentlichen Vorführung feststelle, dass der Netzwerkgedanke hier
Früchte trägt. Unter den Gästen sind zahlreiche bekannte
Gesichter. Es gibt an jeder Ecke interessante Gespräche und es baut
sich eine kollektive Vorfreude auf den Film auf. Nun ist es meistens
so, dass bei graffitilastigen Filmen Action im Programmuntertitel
steht. Es wird getrunken zu knallharten Beats und eine Action jagt
die andere. Und hier? Pixadores? Anders.
Die Einleitung der Vorführung macht
schon klar, das hier wird keine Verherrlichung, keine Inszenierung
zeigen. Dieser Film ist dokumentarisch und echt. Das wahre Leben. Und
genauso beginnt der Film. Man lernt kurz die Protagonisten kennen.
Echte Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen zur Malerei kommen
und es dann recht schnell als militante Aktionen gegen staatliche
Repressionen beschreiben. Soweit kommt es wahrscheinlich auch jedem
Zuschauer aus der Graffitibewegung vertraut vor. Protest, Freiheit,
Ausbruch und Widerstand.
In zahlreichen Szenen holt der Film den Zuschauer in die Realität der Favelas. Wer sich dieser Filmrealität bewusst ist, erkennt bereits am Anfang das politische Manko, das Drama und die Ungerechtigkeit, die in einem Schwellenland wie Brasilien deutlichst zu spüren ist. Trotz lustig anmutender Dialoge, ist es Realdramatik in bester, unverfälschter filmischer Darstellung. Sozialkritik, die dem Zuschauer sein eigenes Komfortleben beim Betrachten des Films deutlich macht. Das eben noch erworbene Kennerbier schmeckt nur noch halb so hip wie vor dem Film. Der eigene Tellerrand kann dem Zuschauer schon mal abhanden kommen, sollte er den Zugang zum Kosmos dieser Jungs finden. Dagegen wirken politische Anzeichen in Aktionen einschlägig bekannter Berliner Crews nur noch wie Lifestyleprodukte.
Diese absehbare Spirale in Richtung Ausweglosigkeit unterstreicht der Film von Anfang an durch seine schwarz-weiß Darstellung.
Der erste Schlüsselmoment ist die
Reise der Jungs nach Berlin und die aufeinander treffenden Welten der
modernen Urban Art Szene mit echten Hustlern. Dem Zuschauer kann in
diesem Treffen und den Beobachtungen der Pixadores schon mal schlecht
werden. Denn die europäische Street Art, die Kunstszene, Graffiti in
Deutschland - alles schien nie unpolitischer und selbstverliebter als
jetzt.
Insgesamt muss man einfach festhalten,
ist der Filmabend und die Vorführung keine Spaßveranstaltung, die
einem zeigt wie krass irgendwer abgeht. Sie zeigt vielmehr wie krass
ungleichgewichtig unsere Welt geworden ist. Für mich, ein an vielen
Stellen bewegender Film, der seit langer Zeit mal wieder Lust macht
etwas Echtes zu machen. Während europäische Produktionen durch
Selbstverliebtheit und Hypernismus glänzen, einem lediglich noch
Adrenalinladungen vermitteln, zeigt dieser Film - oder auch vielmehr
noch, das ganze Projekt diesen Film auf Tour zu schicken - wie
wichtig es ist sich zu engagieren.
Es kann ein toller, spaßiger Abend
sein Pixadores zu schauen, das liegt dann aber eher an dem
Aufeinandertreffen mit anderen Zuschauern und dem guten Drumherum,
als am Film selbst. Dieser ist brillant ernüchternd und braucht
Zeit. Zeit gesehen zu werden und Zeit verinnerlicht zu werden. Der
Film brauchte ja letztlich sogar viel Zeit, um zu uns zu kommen.
Ich nehme ihn zum Anlass zu ein paar
Städtereisen, denn in einem Atemzug konnte ich ihn nicht komplett
ansehen.
Realität ist wenn es real ist.
06.10.18 / Manfred Mainstream
----------
Alle Infos zu unserer Tour, den Hintergründen und den weiteren Tourstopps findet ihr in unserem TOURARTIKEL.