Der gefangene Zug

Der gefangene Zug

Wir konnten es kaum glauben. Aber ja, da stand er, einfach so, inmitten eines mäßig lebendig wirkenden Industriegebietes am Rande der Stadt. Durch Zufall waren wir hier, immer der Sonne nach.

Und dann sowas?

Maschinen & Co. haben sicherlich keine weiße Weste; obwohl die Verantwortung dafür meistens bei uns Menschen lag (Dass das vielleicht irgendwann mal anders werden könnte, lässt sich aktuell eindrucksvoll bei Marc-Uwe Kling nachlesen; die technische Expansion wird von ihm als geradezu grenzenlos beschrieben, inklusive dem menschlichen Kontrollverlust darüber. Aber ja, der Klassiker, wir schweifen ab). Doch was könnte jemand dazu bewegen einen solchen Zug einzusperren? Und vor allem, warum unter diesen Bedingungen? Ein kleines Dach, etwas mehr Bewegungsfreiheit, mit Freunden und einem verölten Gnadenbrot – das hätte doch niemand wehgetan, oder? In Mukran ist zum Beispiel immer Platz; dort steht sogar ein roter Steuerwagen Bybdzf 482 mit einem PLÜ Piece. Mehr Zuhause ist kaum vorstellbar. 





Ein Leben lang am Arbeiten, jeden Tag, jede Nacht; und immer engagiert. Alles was er zu bieten hatte, legte er in die Waagschale, sein grenzloses Komfortrepertoire umschmeichelte die Mitfahrenden. Eine Reise mit dem Zug, egal, wohin sie geht, sie sollte den Reisenden in Erinnerung bleiben; darum gab er alles, zu jederzeit. Selbst seine Fenster ließ er sich öffnen, frische Luft für alle und ohne Verletzte. Man kann nur hoffen, dass man es ihm schon zu Lebzeiten dankte. Und hoffentlich ließ man ihm die Farbe, die ihn hin und wieder begleitete und überzog nicht gleich jeden Farbspitzer mit Chemikalien. Denn Graffiti ist ein Pflaster, nicht nur für Menschen, sondern auch für Züge. Letztere können nämlich nicht einfach ihre Unterhemden wechseln, wie und wann sie wollen. In ihrem Leben gibt es eine Grundlackierung, und egal, wie sie diese finden, sie müssen sie akzeptieren - sollten sich die Bahngesellschaften dieser Welt mal durch den Kopf gehen lassen!

Und dann sowas?

Am Ende deines Lebens stehst du in einer viel zu kleinen Ecke und statt dem Wind der Freiheit (wie er zum Beispiel in Slowenien weht, wenn der Zug über die Berge in Richtung des kleines Mittelmeerstreifens fährt), den du schon 1000fach geatmet hast, drücken sich die Abgase eines mäßig lebendig wirkenden Industriegebietes in deine Polster. Der saure Regen ist bissig, die Blicke der Werktätigen hingegen uninteressiert. Ein Stacheldraht auf Fensterhöhe tut sein Übriges.

„Sowas kriegst du ausm Herzen nicht mehr raus“, sangen AnnenMayKantereit einmal. Recht haben sie. 

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