Pixadores München - Zwei Rückblicke

Pixadores München - Zwei Rückblicke

Wir waren am 18.10. in München. Im Zielstatt 37. Ja, und wir können es mittlerweile selber kaum glauben aber es war wieder einmal wunderbar. Lest was Tom auf seiner Tour erlebte und wie Yael Curi aus München den Film empfand. Danke Yael für deinen Beitrag.

- Perspektive Eins -


Zum ersten Mal ohne bekannte Gesichter. Die Aufregung – so wie eigentlich immer – mehr als groß. Doch die Vorfreude steht auf Anschlag. Gefühlt war ich gut vorbereitet, doch der Schlafsack und unser Spendenglas blieben natürlich dennoch Zuhause stehen. Aber egal. Die Fahrt war entspannt und ging erst mal quer durch den Thüringer Wald und die alte Waffenschmiede Suhl. Diese Brücken, großartig. Bamberg schien mir ein guter Ort zum Tanken, Autohof yeah, ich steh drauf. Zwei Stunden Fahrt lagen hinter mir. Und dennoch schien die Welt hier schon eine andere zu sein; zumindest mit Blick auf die Sprache. Die Kassiererin und ein altes Pärchen an der Kasse waren für mich nicht zu verstehen. Bester Dialekt. Großartig.

Randnotiz: Bamberg war damals, kurz nach dem Mauerfall, ich muss acht Jahre alt gewesen sein, der erste Westdeutsche Ort, den ich betrat. Ich erinnere mich noch sehr genau daran. Kurz vor der Grenze gab es einen Megastau, zähfließender Verkehr in Reinform. Und obwohl ich die Reichweite dieser ganzen Aufregung noch nicht verstand, war die Situation überaus besonders, hervorgerufen durch die Menschen am Straßenrand. Denn dort standen unzählige Menschen aus den sog. Alten Bundesländern, die uns begrüßten UND uns vor allem allerhand Leckereien ins Auto warfen. Das kann man sich heute gar nicht mehr so richtig vorstellen. Aber als Kind war es der Himmel auf Erden. Wir hatten alle Fenster sperrangelweit auf und boten uns als Ziel für die vielen Wurfgeschosse an. Zum ersten Mal Milkaschokolade. Frido (RIP), ein enger Freund unserer Familie riss irgendwann sogar die Tür auf weil er scheinbar nach einer besonders großen Leckerei greifen wollt, was ihm aber nicht gelang. Der kurze Ärger in seinem Gesicht ist mir immer noch in Erinnerung, genau, wie unser Begrüßungsgeld und Otto und seine Familie, die sich freiwillig gemeldet hatten damit Menschen, wie ich und meine Familie irgendwo unterkamen. Ein ganzes Wochenende haben wir bei ihnen verbracht. Und wir wurden Freunde, wenn auch nicht für ewig. Ach Bamberg, du alte Schokoladenstadt; auf ewig unvergessen!


Aber weiter geht’s. Die braunen Schilder am Autobahnrand, die auf die Attraktionen der Region hinweisen, ziehen an mir vorüber. Bildungsreise olé.

Ingolstadt, here we are! Endlich mal wieder ein wenig schnattern. Mit Nikolina, meiner Mitfahrgelegenheit. Nikolina kam aus Bosnien und wir hatten von Anfang an viel zu erzählen. Und plötzlich kam dann auch schon München. Irgendwie eine verrückt Stadt. Eine große Liebe empfand ich dennoch nie für sie. Aber offenherzig ging es rein. Nikolina kannte sich gut aus und auf ihre Frage, ob ich sie nicht dort und dort absetzen konnte, antwortete ich mit Ja; auch weil sie versichert hatte, dass die Zielstatt37 nicht weit davon entfernt lag – eine leichte Untertreibung, wie ich am Abend und wenige Minuten später erfahren sollte. Naja, auf jeden Fall ging es mit guter Laune weiter bis ich irgendwann die volle Breitseite des Münchner Feierabendverkehrs und den damit einhergehenden, überaus wilden Gestiken abbekam. Alter Schwede! Hupen, drängeln und am liebsten 1000 fahren. Das war auf jeden Fall überhaupt nicht meins. In zwei Situation muss mir irgendjemand beigestanden haben, anders ist es mir nicht zu erklären, warum es dort nicht geknallt hat. Fuck. Ich hab geschwitzt wie ein großer. Und, als dann noch das Navi nach rechts ruft aber eben genau dort alles gesperrt ist, war mir kurz nach anhalten, aussteigen und wegrennen. Aber, als Daddy hat man schon so viele Stresssituationen erlebt, dass ich mir dann gedacht habe, einfach die Ruhe bewahren, es wird schon irgendwann vorüber gehen. Und ey, so war es dann auch auch. Mit der Fahrt aus der Innenstadt und der Einfahrt im Sendlingviertel wurde es entspannter.

Zielstattstraße. Eine eher unscheinbare, industriell geprägte Straße, in der es kleine Firmen, dreckige Ecken, zu wenig Parkplätze und die kleinste Tankstelle der Welt gibt. Die Location war gefunden. Entspannung setzte ein. Und dann ging es erst einmal zu einem ganz besonderen Treffen. Mein alter Freund Hamun wohnt in der Nähe von München und wir hatten uns nun schon gute sechs Jahre nicht mehr gesehen. Doch heute sollte es endlich mal wieder so weit sein. Ein wunderbares Treffen. Wir haben über 2h nur erzählt und erzählt, über das Leben, Politik, die Situation im Land, Hoffnungen, Ängste und Ideen. Es war wirklich richtig schön, einfach was fürs Herz. Und obwohl er vor fünf Wochen zum dritten Mal Daddy geworden ist, hat er sich die Zeit frei geschaufelt. Einfach super. Ich brachte ihn dann irgendwann zur U-Bahn und dann gings erstmal ans Essen. Discountpower.
Doch vorher brauchte ich noch unbedingt eine Toilette, die aber nirgends auszumachen war. Ich erinnerte mich an die ein oder andere Urlaubserfahrung und mimte den selbstsicheren Hotelgast, während ich durchs Edelfoyer lief und souverän aufs Klo zu steuerte. Bingo. Luxus auf wenigen Quadratmetern. Und dann ab ins Auto zum Bauchtanken.

Mittlerweile war es um sechs Uhr. Langsam war ich heiß und natürlich auch aufgeregt. Rein in den Laden und ab die Post; und vor allem erst mal Fabian begrüßen. Er ist der Kollege, der das in München alles möglich gemach hat. Die Stimmung ist entspannt und neben Fabian gönnt sich auch Willi eine entspannte 15. Zum Laden schien er nicht zu gehören, aber mit seinen 55 Lebensjahren konnte er scheinbar auf einige Events zurückblicken. Meine Heimatstadt Jena kannte er „natürlich“ auch, was mich erst einmal überraschte. Er sei Segelflieger und war in der Nähe auf einem Flugplatz, weswegen ihm der Landstreifen nicht fremd war. Fremd war ihm auch der Punkrock nicht. Da hatte er sich in den 80igern scheinbar gut eingerichtet. Vor diesem Hintergrund feierte er auch die Kinotour enorm ab. Diese ganze DIY-Nummer schien ihm noch mächtig im Blut zu pulsieren, weswegen er auch unbedingt einen 5er in die Spendenkasse schmeißen wollte.

Wir fingen dann erst einmal an, alle ein wenig zu wuseln. Fabian machte die Bar hübsch und ich bastelte wieder an meinem Eingangsbereich. Beste Entspannung. Auch weil der Laden echt geil ist: Zielstatt37, seit 8 Jahren in Nutzung, und in den letzten Jahren als kleine aktive Untergrundbude genutzt. Wunderbare Location, damals noch allein auf weiter Flur, mittlerweile hat sich das Viertel gewandelt, große Hotels haben sich drum herum versammelt und drängen – gewollt oder ungewollt – auf den Abriss der alten Location, leider der Klassiker; und dennoch immer wieder traurig. Ende des Jahres soll dann dieser privatöffentliche Raum seine Türen schließen, Schön, dass wir nochmal hier sein durften. Die Fotos geben glaube ich ganz gut den Flair wieder. Ich hab mich wirklich richtig, richtig wohl gefühlt aka DIY1000!

Und dann ging es wieder los. Tür auf, herzlich gegrüßt, geschnattert und sich mal wieder über dieses Wunder gefreut, dass die Leute wirklich kommen. Mittlerweile gibt es alles und zu jeder Zeit im Internet zu sehen, doch die Leute kommen auf den Punkt, um eine Doku zu sehen. Ach, herrlich!

Der Raum füllt sich. Das Publikum, wunderbar! Großer Beamer, kleine Leinwand, irgendwie passte alles gut ins Bild, außer der Untertitel der hin und wieder links ein wenig verschwand. 93 Minuten flimmern.

Ich saß am Rand, genoss den Blick auf unser Publikum und die sympathische Leinwand und die tiefe Glückseligkeit.

Danach gab es wieder einige Gespräche. Wirklich wunderbar. Wir nahmen uns Zeit und schlichen ganz langsam in die Nacht. Und während wir an der Bar verweilten, kam ich mit zwei Anwälten ins Gespräch, die nicht nur unsere Gäste waren, sondern auch schon seit einiger Zeit den Raum nach ihren Wünschen umbauten. Sie wollten den 5jährigen Geburtstag ihrer Kanzlei feiern und machten alles hübsch. Man hatte sie gedrängt nun endlich mal die Sau rauszulassen, natürlich auf Kanzleikosten aka 120 Gäste und alles for free. Das klang super. Zwei echt coole Kollegen, die meinten, dass die Rechten auf jeden Fall nicht zu ihnen kommen. Ich würde sagen: Bewegungsanwälte. Und als die Nacht schon fast ihr Ende fand, kamen noch zwei richtig gute Kollegen. Leider waren sie so voll, dass ich ihre Namen einfach nicht aufs Brett gekriegt habe. Sie kamen auf jeden Fall aus Bosnien und Mazedonien, waren Raketenstraff und mussten vier Stunden später raus, um der deutschen Trockenbau-Branche unter die Arme zu greifen. Fiese Mischung. Ein Foto gab es dennoch...

Wie müde so ein Tag auch macht, weswegen ich mich auch freute, das Pia (DANKE, DANKE) mir ihre Couch anbot. Wir naschten uns noch ne schöne Pizza und schnattern uns durch die Nacht, Fußball, Bayern München & Co. Ich hab es genossen.

Wie angekündigt, machte mein innerer Wecker seinen Job und trieb mich im Morgengrauen aus dem Bett. Leise raus und dann ab zum Auto. Meine Mfg war pünktlich. Und blieb dennoch und leider seltsam. Ich blieb trotzdem freundlich. Dass ihr die Ausländer aber selbst die Wohnungssuche versauen, war mir dann doch irgendwann too much. Auch weil sie kein Bock hatte das irgendwie zu erklären. Sie müsse vielleicht ihre blondierten Haare abschneiden und ihren Pass verbrennen damit sie bessere Chancen hätte auf dem Wohnungsmarkt, meinte sie. Ja, genau. Den Rest der Fahrt schlief sie. Und ich war wieder herausgerissen aus meiner kleinen Blase. Aber ja, so ist es halt. Die Realität fragt nicht nach Eintrittskarten, die läuft im Zweifelsfall einfach durch die Tür; auch wenn man sie von drinnen mit beiden Händen festhält.

Danke München, dass es so wunderbar war. Danke Fabian, Danke Pia. Danke Yael & Marcos. Danke Curt Magazin. Danke Hamun. Danke an unsere Gäste und das schöne Publikum im Zielstatt37.

München, wir kommen gerne wieder.

Danke Johanna.

19.10.18 / Tom / Rotzfrech Cinema


- Perspektive Zwei -


„Die Wände spalten die Menschen“, sagen die vier Freunde, während sie ein Bazeado am Rand eines 15-stöckigen Gebäudes rauchen. Danach klettern die barfüßigen Krieger ohne jegliche Art von Sicherheitsmaßnahmen, um ihr Statement dort zu malen. Djan, William, Biscoito und Ricardo wohnen in die Favelas von São Pãulo, mitten einem Szenario der Kriminalisierung von Armut und sozialer Ablehnung. Pixação ist ihre Antwort.

Eine dynamische Handkamera folgt die Pixadores in ihrem intensiven Alltag: bei der Arbeit, auf der Straße, zu Hause in der Favela, bei ihren Graffitis-Nächten oder bei dem Züge-Surfen. Hier können wir die Spannung, die Konflikte und die Gefahr mitspüren, aber auch den Zeitpunkt des Glücks, mit dem Schicksal in den eigenen Händen, die Freiheit zu genießen. Und deshalb lohnt es sich, das Leben zu riskieren.

Der Dokumentarfilm ist hauptsächlich in Schwarz-Weiß, mit gelegentlichen auffallenden Farbakzenten gehalten. Zum Beispiel, wenn die Jungs von der Berlin Biennale eingeladen werden, um ihr Werk zu zeigen. Dort erlebt die Crew, dass ihre Protestaktionen auf einen ästhetischen Akt reduziert werden. Die Situation eskaliert sich mit schwierige Konsequenzen. Durch einen objektiven Blickwinkel zeigt der Regisseur den Crash der Kulturen und das Missverständnis über eine Bewegung, die mehr als Kunst bedeutet…

Zurück in Brasilien willkommen die stolzen Familien mit Churrasco, Cachaça und Musik. Jetzt weiß die Welt, was Pixação ist und vielleicht können die Pixadores damit ihren Traum erfüllen: Erinnert zu werden.

26.10.18 / Yael Curi / freie Journalistin

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Noch mehr Rückblick? Bitte sehr: Erfurt, Bremen, Hamburg. Ansonsten findet ihr alles zu unserer noch immer laufenden Pixadores Kino Tour in unserem Tour-Artikel.

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