Hamburg, wie wunderbar. Auch diesmal konnten wir wieder zwei Perspektiven dazu einfangen. Unser Tom und Anja aus Hamburg haben jeweils ihren Blick zu Papier gebracht. Viel Spaß beim Lesen.
- Perspektive Eins -
Um 6 Uhr ging es ins Bett und um 9 Uhr
öffneten sich meine Augen. Die Nacht steckte mir noch in den
Knochen, doch bei so viel Aufregung ist an schlafen einfach nicht zu
denken. Aber, ich wusste schon, dass es so kommen würde und wusste
mich zu beschäftigten, während die anderen noch schliefen. Ich las
das halbe Internet, gönnte mir eine Dusche und grübelte ein wenig
über den zurückliegenden Abend. Bis ich dann endlich ein paar
Stimmen hörte und klar war, jetzt gibt es kein zurück mehr. Wir
stehen auf!
Ich räumte noch ein wenig und düste dann zum Bäcker
am Eck; und verlief mich auf den wenigen Metern. Doch der Kiez war
schön und ich konnte in Ruhe Aufkleber glotzen bis mich Frank
irgendwann wiederfand und wir Richtung Frühstückstisch liefen.
Schnattern, packen und dann ab auf die Autobahn Richtung Hamburg. Ich
wollte rechtzeitig los. Denn auf nochmal Stau hatte ich echt keine
Lust. Und so düste ich dann ganz entspannt über die Autobahn und
war fasziniert, wie schön Hamburg eigentlich bei der Einfahrt
aussieht. So ein Hafen macht schon was her. Nun stand mir nur noch
der Hamburger Verkehr bevor, der sich aber entspannter bewegte als
ich dachte, weswegen ich auch mit bester Laune bei meinen Freuden Lisa
und Robert ankam. Letzterer musste zwar noch kurz abgeholt werden
bevor es dann aber an ein geiles Mittag / Abendbrot ging. Nudeln mit
Bolognese. Du haust dich weg aka richtig lecker.
Die Aufregung ließ
mir dennoch keine Ruhe. Wir mussten los. Los in Richtung
Gängeviertel. Vor vielen Jahren hatte ich mir dazu mal ein Buch
gekauft, damals kurz nach dem es besetzt wurde. Die Vorfreude war
entsprechend groß; und ich wurde (mal wieder) nicht enttäuscht. Mal
wieder genau mein Style: Alte Backsteinhäuser, fast niedlich und
fast alles bemalt, beklebt, belebt. Herrlich! Auf ungefähr
einhundert Metern hat sich ein wunderschönes Kleinod das Recht zum
Leben erkämpft und die Tatsache, das direkt auf der anderen
Straßenseite die großen Büro- und Bankengebäude in den Himmel
ragen und vom Gestus her ganz, ganz anders wirken, lässt den Ort wie
ein kleines gallisches Dorf erscheinen.
In der „Fabrique“, einem
Gebäude, was ein wenig renovierter wirkte, sollte heute unser Film
laufen. Erste Etage und dann lernten wir uns endlich kennen, Rudi von
Urbanshit und ich. Seit bestimmt drei Jahren schreiben und kennen wir
uns. Und nun sollten wir uns endlich mal persönlich gegenüberstehen.
Das ging mir wirklich wunderbar rein, vor allem weil es sich von
Anfang an sehr, sehr sympathisch anfühlte. Doch Rudi war nicht
alleine, denn auch Jana, die sich im Gängeviertel mit rein hing, hat
sich für diesen Abend mächtig engagiert. Sie hatte noch eine Band
und einen MC aus Südafrika organisiert und mit ihrer Gang geile
Solicocktails in die Runde geschmissen und den ganzen Abend wild
gewuselt und geackert. Danke euch beiden für eure Unterstützung –
ohne euch wäre es niemals klargegangen; vor allem nicht so schön
gemütlich und heimelig.
Zurück zum Abend. Ich genoss die Ruhe
und bastelte in aller Ruhe an meinem Eingangsbereich. Aufkleber,
Poster, es passte mal wieder alles wunderbar aufs Brett. Kurz vor
acht kamen die ersten Leute; und meine Aufregung. Und eine große
Überraschung: Mein alter Brudi Gregor hatte den langen Weg aus
Berlin auf sich genommen, um vorbeizuschauen. Eine wirklich
wunderbare Geste und zusammen mit seinem Bruder waren wir eine geile
Gang aka beste Freude auf einem Haufen. Richtig gut. Und auch wenn
Rudi und mir nicht immer ganz klar war, wer hier eigentlich wohin und
dazu gehört, war irgendwann klar, dass ist unser Techniker und er
bringt unseren Film zum Laufen. Als Ton und Bild sich von ihrer
besten Seite zeigten, konnte es dann auch losgehen. Um acht Uhr war
Einlass, um neun ging es los. Eine ganze Stunde Spannung und
Aufregung. Genau mein Ding. Das Publikum am Einlass gefiel mir von
Anfang an richtig gut. Ich dachte, dass es grummeliger ist, wie man
sich als Flachländer eben „die“ Norddeutschen vorstellt. Aber
ganz im Gegenteil. Die Leute waren interessiert, freundlich und oft
auch sehr herzlich. Ach, dachte ich mir irgendwann, was für ein
schöner Moment hier. Um neun war dann nochmal Action. Rauf auf die
Bühne und ein wenig was zur Tour erzählt. Kaum noch aufgeregt,
machte es mir fast ein wenig Spaß den Leuten, was zu unserer Mission
zu erzählen. Mit Applaus ging ich von der Bühne und überließ dem
Publikum unseren Film. Ich genoss die Ruhe am Eingang und das
Gespräch mit Klara, eine überaus engagierte junge Frau aus Hamburg.
Immer mal wieder kamen Leute vorbei, die noch einen Platz suchten.
Irgendwann war der Raum dann restlos voll. Ausverkauft in Hamburg.
Mittlerweile habe ich gemerkt, dass nicht nur die Phase vor
Filmbeginn richtig spannend ist, sondern auch die Zeit nach dem Film.
In Hamburg ist mir das, das erste Mal richtig aufgefallen. Ich habe
bestimmt zwei Stunden mit verschiedenen Leuten aus dem Publikum
gesprochen. Richtig schöne und interessante Gespräche. Manche
wollten nur Danke sagen, andere suchten die Diskussion oder hatten
mögliche Anknüpfungspunkte für andere und weitere Projekte. Es war
stellenweise wie in einem Traum. Der ganze Rechtsruckscheißdreck
schien für einen Moment so weit weg, stattdessen Offen- und
Herzlichkeit, Verständnis und Interesse für einander. Ach,
wunderbar! So nahm der Abend langsam seinen Verlauf. Im Kinosaal
wurde mittlerweile getanzt, während wir irgendwann zusammenpackten,
uns verabschiedeten und dann erst einmal allen Kram im Auto
versenkten. Nun aber endlich Pizza, denn mein Magen schrie nach
Aufmerksamkeit und die Leber der anderen nach Suff. Unsere Gang,
Manu, Greg, Rob und ich, ließ sich vor einer geilen Bar nieder,
naschten Pizza und lenzten uns einfach erstmal einen. Ich war rundum
satt und zufrieden mit dem Abend und hätte meinem Bett gern einen Besuch
abgestattet. ABER, biste in der Gang, hängste in der Gang darum ließ
ich mich breitschlagen noch nach irgendwo zu fahren, um bei Leuten
von Zuhause Geburtstag zu feiern. Ein wenig angesäuert fuhren wir
dann durch Hamburg, um dann nach einer gefühlten Stunde im Viertel
XY einzulaufen. Die Jungs waren heiß, ich war müde. Doch die Party
war nett, und passte am Ende gut in den Tag. Sorry, Jungs für das
Gequengele am Anfang. Wir gönnten uns reichlich Snacks, meine
Mitfahrer reichlich Suff und so tanzten wir uns durch die Hamburger
Dachgeschosswohnung, lernten Leute kennen, eventuell auch im
Flirtmodus und verbrachten einfach eine gute Zeit – bis die erste
Box ausfiel, dann die zweite und nach einer kurzen Besichtigung klar
war, die Anlage ist heiß genug für Spiegeleier und wird erstmal
keinen Ton mehr von sich geben; vielleicht auch für immer aka Murder
Death Kill. Natürlich
hatte jemand eine Gitarre dabei, und natürlich wurde dazu auch
gesungen. Die Growd fand es super; wir hingegen nutzen den Moment, um
Lebewohl zu sagen. Manu blieb und wir düsten mit unserer Tourkarre
Richtung Zuhause. Einen Schlüssel hatten wir natürlich nicht,
weswegen wir leider klingen mussten, was Lisa – verständlicherweise
– nur so mäßig gut fand. Sorry. Greg und ich gönnten uns dann
die Couch und schnattern uns noch geil einen bis die Augen irgendwann
zu fielen. Ein wunderbares Ende von einem wunderbaren Tag.
Doch damit nicht genug, denn, wenn mir noch etwas in bester Erinnerung ist, dann die Tatsache, dass es am nächsten Morgen noch ein wunderbares Frühstück gab: Eier, vegetarische Würtschen (angebraten Diggie!), gebackene Bohnen, Saft, Brötchen und reichlich Zeug fürs Drauflegen. Danke Lisa! Es wurde nochmal gut geschnattert, was ja mindestens genauso wichtig und schön ist und dann allmählich auch die Schuhe geschnürrt. Hamburg - Erfurt, nicht gerade ein Katzensprung. Doch die Freude war groß, denn mein Freund Basti kam aus Bremen rüber und fuhr mit mir wieder zurück. Wir haben noch mal viel erzählt und sind dann im dunkeln endlich angekommen. Eigentlich wollte ich nur noch pennen und mit meiner Tochter im Bett liegen bleiben. Aber in meinem Körper waren noch zu viele Hyperhormone, die mich nicht schlafen ließen. Stattdessen blieb ich noch bis Mitternacht wach; nach einem Wochenende mit insgesamt 7h Schlaf auf jeden Fall nicht gerade optimal. Aber ich hab mich am Ende der Situation ergeben und mit meinem Sofa auf Kumpel gemacht.
Danke
Lisa, Robert, Gregor, Manu, Rudi, Jana, Klara. Danke Gängeviertel.
Danke Hamburg. Danke, dass es bei und mit euch so wunderbar war.
Danke Johanna.
24.10.18 / Tom / Rotzfrech Cinema
- Perspektive Zwei -
Als ich 2009 mit einem Freund in Sao Paulo unterwegs war, lernten wir „Tinho“ in seinem kleinen Sprüher-Laden kennen. Nach 10 minutigem Gequatsche über dies uns das lud er uns unvermittelt zu sich nach Hause ein. Grillen, abhängen...? Absolut. Sofort. Damit hatten wir nicht gerechnet.
Mit seiner Adresse in der Hand und Bock auf Bockwurst im Magen, kamen wir bei „Tinho“ an. - und waren sofort verzaubert. Bei fantastischem Wetter sprühten, grillten und grüßten uns ein Duzend Maler in dem kleinen betonierten Hinterhof. Ein fetter Pittbull rundete das Bild ab. Ein absoluter Augenporno.
Auch wenn der Einblick sehr kurz war, spätestens nach diesem Erlebnis war ich verliebt in Sao Paulo. Neben der bunten Bilderwelt, faszinierten uns die kryptischen Zeichen der Pixadores – an all diesen unmöglichen Spots. Die Obsession und Mitgestaltungswut sprang einem ins Gesicht. Die Stadt - aus der öffentliche Werbeflächen verbannt wurden – schien mit einer autonomen Patina überzogen zu sein.
Mit dieser kleinen Geschichte im Gepäck las ich auf dem Blog meines Freundes und ehemals Mitreisenden, von der Filmankündigung zu Pixadores. Geil, da geh ich hin. 9 Jahre nach der Reise. Immer noch verzaubert.
Wie erwartet, zeigt der Film nicht die bunt-sprühende Hinterhof-Romantik die wir gesehen haben. Die Protagonisten sind andere. Radikaler. Ärmer. Wahnsinniger. Aber er zeigt vielleicht auch eine ähnliche Erfahrung, mindestens 100 Ebenen tiefer. Wenn wir nach 10 Minuten Gespräch zum Grillen eingeladen werden, fühlt es sich irgendwie logisch an, dass der Filmemacher nach „nur“ drei Jahren so nah an die Pixadores heran gekommen ist. Unvermummt, weinend und persönliche Schicksale teilend. Als Gringo. Ohne ein Wort portugiesisch. Es mag insbesondere an seiner Empathie und Leidenschaft gelegen haben, aber vielleicht ja auch an der ungewöhnlichen Offenheit und dem Mut der Protagonisten ihre Attitüde und ihr Leben zu präsentieren – mit offenem Visier und klaren Botschaften.
Waghalsige YouTube Videos der Pixadores kannte ich. Der Film hat mir und vermutlich allen anderen MitseherInnen jetzt vier eindrückliche Geschichten zu diesen Bildern im Kopf geliefert.
An der größten Schnittstelle zu meiner Welt – der Reise der Pixadores nach Berlin – hat mich das radikale Auftreten der Protagonisten extrem beeindruckt und kurzfristig beschämt. Immerhin lachte ich die aus, die ich am ehesten repräsentiere. Die weiße, Akademikerin die sich für Graffiti interessiert. Aus der Ferne lässt es sich - vor dem Hintergrund - auf alle Fälle leichter lachen.
Ganz kurz habe ich allerdings auch gedacht – wie überlebenswichtig, vielleicht durchdacht die Radikalität an dieser Stelle ist, und wie schnell der Puma-Deal folgte. Ohne Wertung – aber in meinen Augen nur schwer vorstellbar mit annähernd radikalen Crews hier.
Neben den politischen Fragen, den Fragen nach Armut und Machtlosigkeit, nach Obsession und Wahnsinn, sind bei mir nach dem Film auch viele persönliche Fragen hängen geblieben.
Es ist immer beeindruckend, so tief in die Geschichte von Menschen einzudringen. Das gelingt bei guten Freunden, manchmal innerhalb der Familie, eigentlich immer im Dialog.
Da ich in keinem Film auftauche oder auftauchen werde, um mich mit meiner Geschichte zu revanchieren, bedanke ich mich umso mehr und unbekannterweise bei den Protagonisten für den Mut der einseitigen Offenheit und die Erlaubnis mit ihrer Geschichte meine Gedanken zu bewegen. Wie gut!
27.10.18 / Anja
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Wie unsere Tour ansonsten bisher so lief? Lest gerne unsere anderen Tourberichte: 05.10. Erfurt / Kulturquartier, 12.10. Bremen / Lagerhaus oder schaut gerne auf unseren noch kommenden Tourstopps vorbei.