Pixadores Bremen - Zwei Rückblicke

Pixadores Bremen - Zwei Rückblicke

Ein Tourstopp - zwei Perspektiven. Diesmal im Fokus: Bremen. Betrachtet von Tom und Fräulein Gift. Viel Spaß beim Lesen. Alles weitere zur Tour findet ihr in unserem Tour-Blog oder auf unserer Facebook-Seite.


- Perspektive Eins -

Jetzt wird es ernst. Wir verlassen Erfurt und den Ort, wo unser Kino Zuhause ist. Wir sind aufgeregt, doch der Tag startet wunderbar: Sonne, Schokomüsli und alles in einem entspannten Tempo. Dass ich nicht alleine fahren muss, finde ich super; nicht nur mit Blick auf unsere Tourkasse. Basti, ein alter Weggefährte hat sich spontan zum Mitreisen entschieden und Valeska hat übers Internet zu uns gefunden. Die Gang steht und von Anfang an stimmt der Flow. Bremen wir kommen; und zwar gut gelaunt.

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Wir schnatterten uns durch die ersten Autobahnkilometer, gefolgt von Raststätten, meckernden Rentnern und einigen kulinarischen Leckereien, die uns das Tankstellenpersonal kredenzte. Bremen liegt fast vor uns. Und dennoch empfahl uns unser Navi, die Autobahn zu verlassen. Ok?! Was folgt, sind viele Dörfer. Und irgendwann Verden. Verden ALLER. Und dessen Superstau. Wir stehen. Stehen. Und stehen. Scheiß Navi. Doch schnell wird klar, die Autobahn ist komplett gesperrt, 30 km vor Bremen. Das Chaos übernimmt die Regie und das Herr an Pendlern, Touristen und Einheimischen schiebt sich durch die Provinz. Die Zeit vergeht und der Tagesplan schwindet.

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Doch irgendwann kommen wir an, in unserem Bremer Zuhause, im Zuhause von Frank und Martje. Wunderbar. Freundlich. Und von Anfang an HERZLICH WILLKOMMEN. Wir bleiben kurz und düsen dann mit reichlich Aufregung und Gepäck ins Kulturzentrum Lagerhaus, was in einem wunderbaren Viertel liegt, in DEM Viertel. Und endlich lernen wir auch Felix kennen, unser Ankerpunkt und Kümmerer vor Ort. Ein großartiger Kollege, der mit viel Engagement unseren Tourstopp in Bremen trägt. Ein paar Worte zum Haus und schon stehen wir drinnen. Ab in die 3. Etage, vorbei an den Vorbereitungen in der 1., wo eine internationale Punkrockband heute die Boxen malträtieren wird. Wir kriegen Stempel und die Info, das in Potsdam ein alternatives Lokal überfallen wurde, am Eingang kann man eine Spende hinterlassen, um den betroffenen Betreibern der Kneipe zu helfen. Der Medienraum des Lagerhauses ist der Ort, wo unsere Leinwand steht und bereits zwei Stunden später PIXADORES laufen soll. Wir bauen alles auf, machens hübsch und der Haustechniker bringt unsere Doku zum Flimmern. Immer wieder ein gutes Gefühl, wenn alles steht und läuft.

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Auch wenn es die Aufregung anders sieht, Essen muss sein, weswegen wir uns noch ein Rollo in den Hals basteln. Wir würden sagen, Digga, ein Dürum. Aber, der Bremer spricht von Rollo und scheint mit den Dortmundern darüber zu streiten, wer von beiden diese Megaleckerei erfunden hat. Uns ist es egal, wir lassen uns die Teigrolle mit geilem Inhalt schmecken. Und dann ist es auch schon höchste Zeit sich in Position zu bringen, direkt am Eingang und hinter unseren Aufklebern, Postern & Co. Diese halbe Stunde zwischen „Tür auf“ und „Filmstart“ sind echt immer verrückt. Wie gut die Werbung und Vorbereitung lief, zeigt sich in diesem Zeitfenster ganz ungeschminkt und ohne Rücksicht.

Doch unsere Gäste kommen und füllen den Raum. Die Seite Graffiti Bremen und der lokale BigChillShop haben nochmal schön Werbung gemacht, geiler Subkultursupport – das geht mächtig gut rein. Danke. 40 – 50 Leute sitzen am Ende vor der Leinwand, ich erzähle kurz etwas zur Tour und dann geht es auch schon los in unserem kleinen Dachgeschoss in Bremen. Der Raum ist gut voll, vielmehr Leute hätten mit Blick auf die Frischluft nicht reingepasst. Während der Vorführung verlassen einige Leute den Raum. Entspricht es nicht ihren Erwartungen, sind sie gelangweilt oder haben sie ein Date, was nicht warten mag? Wer weiß es schon. Den Punkt 'Erwartungen' hat Manfred Mainstream in Erfurt ja bereits schon mal angesprochen.

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Mit dem Abspann verlässt ein Großteil des Publikums den Raum. Einige bleiben. Wir kommen ins Gespräch und lümmeln uns an die Bar. Kira, die beste Barbetreuung die man sich vorstellen kann, schnattert sich mit uns durchs Aufräumen. Die Stimmung ist prächtig und endlich schwindet auch die Aufregung. Dafür kommt so langsam ein Abendplan ins Spiel. Geil, wir ziehen noch ein wenig durchs Viertel. Felix und Kira machen noch mächtig reine, während wir schon mal draußen schauen, wie die Bremer ihre Nacht verbringen. Zu meiner großen Freude und Überraschung hängen unzählige Leute einfach auf der Straße. Das Viertel ist geil laut und chaotisch, und ja auch dreckig aka Sticker, Tags, Graffs und von allem ganz, ganz viel. Ach herrlich, eine Wohlfühlkoje sondergleichen. Wir verleihen noch kurz unseren roten Marker an ein Skinhead Pärchen, damit sie sich auf der Hauswand verewigen können. Kurz danach kommen auch schon unsere Freunde Felix und Kira. Und obwohl Kollege Felix schon mächtig in den Seilen hängt – ja, auch in so einem Laden, wie dem Lagerhaus ist Arbeit anstrengend – sind er und Kira hochmotiviert uns mit auf eine geile WG Party zu nehmen. Großartig. Wir stromern schön durchs Viertel, hinterlassen reichlich Material und kommen dann kurze Zeit später schon an.

Ach, diese Bremer. Wir kennen niemanden aber die Freundlichkeit schwappt einem förmlich ins Gesicht. Laute Musik, eine kleine Bar, reichlich Platz und utopisch viele Gespräche an jeder Ecke. Wir hängen hier und dort und irgendwann überzeugen die Beats. Wir müssen tanzen. Basti gibt Vollgas. Und der Rest der Tanzfläche auch. „Halt die Fresse ich will saufen“ - niemand kann sich mehr halten. Es ist früh um irgendwas, doch die Tanzfläche braucht frische Luft. Fenster auf und rein das gute Zeug; und raus den wilden Sound aka Musik ist für alle da und zwar reichlich und laut. … Die Zeit vergeht. Doch irgendwann ziehen die Augenlider gen Süden, Leute wir müssen gehen. Heimweg olé und yeah, wir schaffen noch die Bahn und auf einmal stehen wir wieder in der Nähe des Lagerhauses, während die Musik im Ohr noch schön nachfiebt. Nach Hause? Nee, wir sollten uns noch was geiles in den Hals stellen. Also werden noch Pizzen und Rollos bestellt, Platz genommen und mit letzter Kraft der Bauch gefüllt. Nach Hause laufen? 38 Minuten? Niemals. Bitte, bitte lasst uns ein Taxi nehmen, so dekadent das ganze auch ist aber 24h auf den Beinen ist nichts mehr für mich.

Ich freue mich auf mein Bett. Die Welt ist schön denke ich mir und, wenn sie so wäre, wie dieser Abend – herzlich, einladend, offen, fröhlich und reich an spannenden und interessanten Diskussionen, Menschen und Momenten – wäre sie sogar grandios. Die Hoffnung zeigt sich kämpferisch und zuversichtlich, dass es irgendwann genau so kommen wird.

In diesem Sinne: Danke an Basti, Valeska, Frank, Martje, Felix, Kira, das Lagerhaus und die BewohnerInnen dieser SuperWG durch deren Zimmer wir tanzen durften - ihr habt diesen Tourstopp zu einem wunderbaren gemacht. Dafür Danke. 

Danke Johanna.


16.10.18 / Tom / Rotzfrech Cinema


- Perspektive Zwei -


Das Lagerhaus hat drei oder vier Etagen. In den ganzen Jahren war ich nie höher gekommen als bis zu der Konzert- und Partyetage. Ich dachte, das sei das höchste dieses Kulturzentrums, denn die Etage drüber gehört offenbar nicht mehr dazu. Da bin ich also gerade angekommen. Erwartungsfroh. Außerdem: Spendentopf, Leute mit Begrüßung an der Kasse, HipHop. Logisch dass hier strichgenaue Subkultur Einzug hält. „Nee, hier sind gleich die Moscow Death Brigade. Ihr müsst unters Dach.“ Ich hatte mich schon über die Antifa-Flagge gewundert. Step, step, step... die schwere Tür auf und da sind einige Menschen, ein Beamer, eine Leinwand. Einen kenne ich und der Rest ist schnell kennen gelernt. Ein liebevoll gestalteter Tisch mit Aufklebern, Patches, Markern, Spraykopf-Männchen und Postern.

So als Unwissende, die nix außer einen Link mitbekommen hat, sieht den Tisch am Eingang erst einmal recht nüchtern. Alles deutet auf Subkultur hin. Ich hab mich sehr über die freundliche Begrüßung gefreut. So nach und nach erkenne ich einen Teil der Arbeit in der Vorbereitung: Die Poster und Aufkleber mussten bestellt und gekauft werden, Künstler wurden von dem Projekt überzeugt umsonst die Poster und Männchen zur Verfügung zu stellen.

Tom hat erzählt, die halbe Stunde zwischen dem Einlass und der Vorführung sei am spannendsten. Da passiere so viel. Es stimmt. Die Leute sind gespannt, das ist der flirrenden Atmosphäre anzumerken. Inzwischen kommen noch mehr hoch. Man kennt sich untereinander und parliert bei einer Cola oder einem Bierchen. Es kommt eine ausgelassene Laune auf. Die Leute lachen und so entsteht der Eindruck mehr eines Happenings. Es wird der Spendentopf gefüttert, Dinge ausgewählt, die Leute freuen sich über die neuen Errungenschaften, sprechen darüber. 

Ich frage mich, ob die Protagonisten in dem Film wohl auch ein Faible für Aufkleber haben. Und wie bunt sie es bei sich zuhause haben. Und was das für Typen sind. Spraydosenguerilla auf Longboards wohl kaum, oder? Hier geht es um Sprayer mit kryptischen Symbolen und lebensmüden Aktionen. Es ist kurz nach halb neun. Filmstart. Na, da kieken wa ma‘!

Nach dem Film: Keine Happeninglaune mehr. Geht nach der Vorführung auch nicht. Der Kopf ist voll von Bildern und Eindrücken von einem Film, der eigentlich nix will. Er ist einfach da. 
Wer die Zelebration der Klischees (Sunny-Boys am Strand, Samba, Livestyle) erwartet, sollte sich lieber Goodbye Deutschland widmen.
Die Kamera im Film löst sich als Beobachter auf. Der Zuschauer wird sodurch schnell gefühlter Teil des Umfelds und erlebt, was die vier Protagonisten antreibt, umtreibt und wie unterschiedlich die Lebensweisen und Sehnsüchte sind. Neben der Freundschaft ist die aufkeimende Rivalität derer, die ihren Frust und ihre Wut mit waghalsigen Klettereien an die Wand bringen, kaum zu übersehen.
Favela bedeutet überleben. Das macht aber auch frei von Druck. Sie schafft eine Unabhängigkeit, die die Künstlerelite Deutschlands schmecken sollte. Für uns Außenstehende vergnüglich anzusehen. Entlarvt sich die Kunstszene doch selbst.  Zurück zu den Freunden: Angetrieben vom Drang rauszukommen, heißt das eben auch nicht immer nett zu sein. Loyalität weicht dem Pragmatismus. Reibungspunkte sind vorprogrammiert. Man wünscht sich für die Vier ein großes Happyend! Ein großartiges Filmprojekt, das dazu verdammt gewesen wäre irgendwo zu verstauben. Viel zu schade. Und eine Verneigung vor der Hartnäckigkeit gleich eines Rudel Terrier. Die muss wohl nötig gewesen sein, um den Film vom Vertrieb zu bekommen.

21.10.18 / Fräulein Gift


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