Am 07.11.18 waren wir mit unserer Pixadores Kino Tour im AJZ in Chemnitz. Neben unserer eigenen Sicht auf diesen Tag (Perspektive Eins), konnten wir diesmal noch zwei weitere Leute für einen kleinen Rückblick gewinnen. Danke an Biscay und Edgar für ihren Beitrag und Einblick.
Meine Tour nach Chemnitz beginnt schon
am Abend zuvor; in meinem Kopf. Denn bei Markus Lanz im ZDF sitzt der
Besitzer des Schalom, ein jüdisches Restaurant in Chemnitz. Bekannt
wurde es durch die Ausschreitungen in Chemnitz, in dessen Nachgang
Vermummte seinen Laden überfielen und ihn und die Fassade mit
Steinen bewarfen. Auf einmal ist der ganze Scheiß dort wieder sehr,
sehr präsent.
Nächster Morgen.
Meine Tochter schnippt in den
Kindergarten und ich in unseren Passat, Baujahr 97. Ich nenn ihn
Norbi, meine Tochter liebevoll Morbi. Chemnitz liegt gleich ums Eck,
zumindest mit Blick auf die bisherigen Tourstopps. Eine kurze Fahrt.
Auch mal geil. Nach 1 ½ Stunde leuchtet am Ende einer ewigen Straße
auf einmal ein buntes Haus. Das muss es sein. Das AJZ Talschock.
Abgeparkt und reingesprungen; und schon steh ich drinnen. Herrlich!
Ich frag mich ein wenig durchs Haus, Henning, der Kümmerer vor Ort,
ist gerade unterwegs. Darum schnapp ich mir erstmal ein Rad und düse
Richtung Innenstadt. Während ich mit meinem Michi telefoniere,
verliere ich meinen Autoschlüssel. Kurz danach steh ich mit mächtig
Angstschweiß auf der Straße und durchsuche alle Taschen, immer und
immer wieder. Die Rückfahrt zum AJZ dauert nicht lange, ein
freundlicher Rentner hält ihn in der Hand. Freundliche Rentner
fetzen.
Ich düse entspannt durch die Stadt, in Chemnitz war ich
vorher noch nie. Entsprechend neugierig streunert mein Blick umher. Marx, Einkaufspassagen, alte Häuser, glänzende Fassaden und
reichlich Farbe an den Wänden; ein Großteil davon als
Auftragsmalereien. Im Brühl, einer ehemals angesagten
Einkaufsstraße, die nun wieder zu blühen beginnt, spreche ich einen
netten Kollegen an, der, wie er mir in unserem Gespräch erzählt,
vor seinem eigenen Haus sitzt. Sehr entspannter Mensch. Wir
schnattern über allerhand, ich erzähle ihm vom Kino, er hat Bock
und wird später mit zwei weiteren Freunden tatsächlich auch rum
schauen. Er zeigt mir noch den Weg zum Schalom und dann geht es auch
schon weiter. Leider ist das Restaurant geschlossen. Ab in die
Innenstadt, zum Nüschel, wie man den Marx Kopf nennt und danach
treffe ich durch Zufall auf den Gedenkort, wo vor ein paar Wochen ein
junger Mensch sein Leben verlor. Fuck. Der ganze Scheiß, der danach
abging, ist uns allen noch in schlechter Erinnerung...
Es wird
langsam etwas kühler. Zeit ins AJZ zu düsen. Schließlich ist heute
noch Kino. Dort angekommen, treffe ich nun endlich Hendrik. Bester
Mann und von Anfang geil sympathisch. Wir schnattern über allerhand
und danach gibt es eine Führung durchs Haus. Von außen schon geil,
wird mir dabei erst klar, wie krass der Laden eigentlich ist (Diggie,
selbst Eminem hat sich das AJZ schon gegönnt. Eminem.). Wirklich
schön anzusehen.
Ich versinke in meinem Mantra und baue
in aller Ruhe meinen Stand auf. Sticker, Plakate und, was sich sonst
noch so auf unserem Tisch wohl fühlt. Norman macht den Techniker und
mit dem Beamer eines Kollegen (DANKE!) bringt er alles zum Laufen und
Flimmern. Vielleicht kommen 10 Leute heißt es immer mal wieder etwas
witzig stichelnd. Ich bleibe entspannt; auch, wenn ich irgendwann mal
Frage, ob das wirklich so sein könnte.
Doch irgendwann geht
die Tür auf. Erst zögerlich, doch dann müssen wir immer mehr
Stühle holen. Irgendwann ist der Raum derbe voll aka mehr sollten es
nicht sein. Schön. Ich erzähle wieder ein wenig was zur Tour. Kurz
darauf geht es dann schon los. Von einem schönen Sofa aus gönn ich
mir PIXADORES.
Einen Teil der Leute treffe ich danach
an meinem Stand, schöne Gespräche und ein interessanter Austausch.
Herrlich und wunderbar. Der Abend vergeht und läuft fließend in die
Nacht über. Ich räume alles zusammen und schiebe den ganzen Kram
ins Auto.
Im Publikum saß der Sänger von Kraftklub. Kraftklub?
Kurz darauf verpasst mir Norman unter Zuhilfenahme von Youtube eine
umfassende Einführung. Ganz geile Typen. Und wieder was gelernt. Wir
sitzen noch ein wenig zusammen. Kurz darauf geht’s ganz alleine ins
Dachgeschoss. Genau, ganz alleine! Dort ist mein Schlafplatz. Im
gesamten AJZ gibt es jetzt nur noch einen: mich. Fast ein wenig
gruselig. Aber ich bin so müde, dass kaum Zeit für irgendwas
bleibt. Tefla & Jaleel hatten hier mal ihr Studio. Nun steht hier
mein gemütliches Bett.
Der Morgen beginnt mit einer Dusche und
mit ein paar Snacks im Auto.
Chemnitz es war richtig, richtig
schön bei dir und mit dem AJZ hast du wirklich einen grandiosen Ort,
der dir wunderbar steht.
Liebes AJZ, lieber Hendrik, lieber Norman, danke für die
Herzlichkeiten, die Gastfreundschaft und die tolle Zeit bei euch. Wir
kommen wieder. So viel steht fest. In diesem Sinne: Bis gleich.
Danke Johanna und Max.
In
Freundschaft,
26.11.18 / Tom / Rotzfrech Cinema
- Perspektive Zwei -
Auf dem Weg durch die Stadt reißen
mich manchmal Graffiti aus meinen Gedanken. Eine kleine
Schrecksekunde und dann die Frage: "Scheiße, wie sind die denn
da hoch gekommen?" und danach gleich: "Mist, wie lange
steht das da jetzt schon, ohne dass ich es bisher gemerkt hab?"
Der
Film "Pixadores" verschaffte mir solche Gänsehautmomente
auch, allerdings fast minutenlang bei den gezeigten wilden Kletter-
und Malszenen. Brutal krude Zeichen auf brutalistischen grauen
Betonfassaden, lebensgefährlich angebracht durch ihre
Gestalter.
"Ordnung und Fortschritt" steht auf der
brasilianischen Staatsflagge und "Integralisten" nennen
sich dort die Faschisten. Die vier Protagonisten des Films Djan,
William, Biscoito und Ricardo, was machen sie? Sie machen nicht mit,
wollen gehasst werden für ihre Zeichen und ziehen noch eine Spur Mut
aus der Wut, unverstanden zu sein.
Die Revolte ist ein Akt, der
ohne Erklärungen auskommt. Sie scheint für sich zu stehen, wie der
Gegenwind beim S-Bahn Surfen, über das Regisseur Amir Escandari die
vier Partner kennengelernt hat und ihr Vertrauen für dieses sehr
persönliche Portrait gewann. Wo sie hingingen, Amir Escandari ging
mit und irgendwann war die Kamera dabei. Mit ihr hielt der Filmmacher
auch bei Verfolgungsszenen so lange drauf, bis er selbst die Flucht
ergreifen musste. Action oder nachdenkliche Momente, die Bilder
halten sich roh und klar an die mit einem Luftbild von Sao Paulo
eingeschlagene schwarz-weiß Ästhetik. Nur in wenigen kurzen
extremen Momenten brennt sich die Farbe durch, dann aber grell, so
wie der gezeigte offene Konflikt zwischen arm und reich, zwischen
borniertem Kunstbetrieb und Provokation der Besitzordnung, der sich
zuträgt, als die Gruppe zu einem Kunstworkshop in Deutschland
eingeladen ist. Das einzige was sie je geschenkt bekommen haben sei
ihr Name, sagt einer der Pixadores, nun benutzen sie ihn als Waffe
gegen die Demütigung, doch sie demütigen sich auch gegenseitig. Der
Film zeigt, wie die Gruppe von engsten Freunden beginnt
auseinanderzubrechen, der autoritärste der Gruppe fängt an,
Nietzsche zu lesen und über Moral zu sinnieren, darüber dass die
Bösen eigentlich die Guten seien und umgekehrt. Strafbefehle trudeln
ins Haus, so wie ein Werbevertrag mit einer deutschen Turnschuhfirma,
aber der Staat gibt sich in Brasilien gerade stärker als das
Kapital. Drei der Portraitierten sitzen mittlerweile im Knast, der
Nietzscheleser ist Galerist geworden, so die Nachgeschichte, die der
Film nicht mehr zeigt, aber Tom mir erzählte.
"Pixadores"
ist keine der Graffitidokus, die nur sportliche und technische Könner
zeigen, die bei aller Vorsicht doch ziemlich lässig und souverän
ihre Linien ziehen. Mit seinem Blick in eine kleine Nische der
brasilianischen Gesellschaft erzählt der Film vielmehr über die
Verzweiflung und die Wut und von dem riskanten Versuch, der Existenz
mehr als eine vorgefertigte Bedeutung abzutrotzen. Durch die Nähe zu
den Gezeigten, so mein Eindruck, steckt mehr über ihre
widersprüchliche Situation und ihre Lebenshaltungen in dem Film als
einfach sagbar und abfragbar ist. Der Film gewinnt dort, wo
diejenigen, die nur auf passende Antworten der Frage "Warum?"
warten, scheitern.
Das kleine Kino m54 im AJZ war ziemlich voll
bei der Aufführung und das Publikum sichtlich angeregt von den Film.
Ein Supersuperprojekt von "Rotzfrech Cinema", die die
Begeisterung für Graffiti in die Welt tragen und hoffentlich bald
wieder mit weiteren Filmen zum Thema in unser Kino kommen.
20.11.18 / Biscay
- Perspektive Drei -
Mittwochabend.
Mit dem Film Pixadores im AJZ stand an diesem Abend ein besonderes
Highlight für mich fest. Geile Räumlichkeiten in einem schöne
Haus. Richtig Urban sozusagen.
Anfangs sagte der Film mir rein gar
nichts.
Erst so richtig aufmerksam darauf geworden bin ich als
ich das Poster bei einer Punker Hochzeit in den Räumen des AJZ
gesehen habe und mir es eigentlich nur räubern wollte, wegen dem
geilen Cover. Daheim die Möhre mal angehauen, Youtube geöffnet und
absolut hängen geblieben auf dem Trailer zum Film. Wahnsinn, was da
für eine Doku nach Chemnitz kommen wird. Flott wurde sich
entschieden – der Tag wird im Kalender dick und fett rot
angekreuzt. Ein MUSS für Menschen die mit dieser Subkultur leben
oder deren Einflüsse in irgendeiner Art und Weise im Leben
teilen.
Angekommen entwickelten sich erste nette Gespräche und
immer mehr bekannte Gesichter betraten die Räumlichkeit.
Wie ein
Hammerschlag beginnt auch der Film. Jeder Charakter des Filmes wird
anfangs vorgestellt und ein Stück weit sein Leben beleuchtet. Der
Alltag, die Familie, das Umfeld und Freunde sowie die Malerei.
Schnell wurde einem bewusst, dass dies kein Spaziergang durch eine
bunte Welt wird, wo alles Friede Freude Eierkuchen ist.
Die
Protagonisten zeigen auf, wie ihr Leben in der Favela ist.
Alleingelassen mit dem wenigsten Mitteln. Das Mittel Graffiti als
größte Äußerung gegen das System sowie dem Staat und der eigenen
Unzufriedenheit. Der Ausbruch im Alltag und Aufstand für jeden
Einzelnen. Ein Stück weit die innere Unruhe zu stillen und seine
Gedanken für die Bewohner der Stadt sichtbar an den Wänden und
Hochhäusern zu bringen.
Spätestens beim Beantragen des Reisepass
oder den familiären Gegebenheiten wurde nochmals verdeutlicht, welche
Situationen die Pixação ausgesetzt sind. Mit dem Entwenden von
Kabeln seinen Unterhalt sowie die Familie zu finanzieren, ist dabei
der leichteste Weg im Leben an Kohle heranzukommen. Permanent wird
dir immer wieder im Film gezeigt, inwieweit die Pixação ihre Ventile
haben, um den gesellschaftlichen als auch familiären Druck zu
entfliehen.
Das Risiko beim ungesicherten Klettern an den
Fassaden oder auch dem Surfen auf/an Zügen sind dabei die häufigste
Form, die wiedergelegt wurde.
Das beeindruckenste am Film: es
wurde immer wieder die gute als auch die unverblümte Seite der
Pixação gezeigt. Das erwischen bei Aktionen, der Europa-Trip nach
Berlin, der Zusammenhalt der Gruppe, die Streitigkeiten sowie
Prügelei untereinander, Konflikte mit Eltern und das Missachten des
Vaters. Es wurde nichts verfälscht oder schön geredet. Wieso auch.
So knallhart wie die Jungs und deren Umstände sind, wird der Film
auch dargestellt. Auf jeden Lacher kam sogleich die Faust ins
Gesicht, die die Realität wiederspiegelt.
Völlig überzeugend
und authentisch wurde der Film produziert und auch von Tom bei der
Vorstellung herübergebracht. Dieser nahm sich auch in absolut
entspannter Athmosphäre noch die Zeit, mit den Besuchern über
diesen klasse Film zu reden.
Ich hoffe, du kannst in den nächsten
Filmvorstellungen dein Ziel erfüllen und findest genauso gespannte
Zuschauer wie hier. Schade, dass der Film am Abend nicht zum Verkauf
stand und man diesen bei Verlangen immer wieder ansehen kann.
Auf
ein baldiges Wiedersehen – Ahoi Edgar.
25.11.18 / Edgar
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