Interview: Habitat Happy - Berlin

Interview: Habitat Happy - Berlin

Am 10.01. läuft bei uns der Film "Olhar Instigado" aus Brasilien, São Paulo. Wie der Film nach Deutschland kam, warum er am 05.01. seine Deutschlandpremiere feierte und warum die Gruppe ArdePixo aus São Paulo vor Ort ist, erfahrt ihr in dem folgenden Interview. Im Zentrum steht jedoch die Ausstellung HABITAT HAPPY in Berlin, die noch bis diesen Sonntag (13.01.) zu besuchen ist und sich mit den Themen Wohnraum, Verdrängung und städtische Armut beschäftigt. Los gehts! 

Herzlich Willkommen in unserem kleinen Blackstreets-Kosmos. Schön, dass wir kurz vor Ende der Ausstellung „HABITAT HAPPY 300m2, cozy, short term“ in Berlin nochmal die Gelegenheit kriegen ein paar neugierige Fragen an euch zu richten.

Doch fangen wir vorne an. Mit einer kurzen Vorstellung. Wer seid und was macht ihr?


Wir, die Galerie neurotitan und der gemeinnützige Verein Schwarzenberg betreiben unkommerzielle Ausstellungsflächen in Berlin-Mitte. Hier bieten wir jungen, aufstrebenden Künstler*Innen die Möglichkeit ihre Arbeiten einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Zweimal jährlich können sich Gruppen von Künstler*Innen, Kurator*Innen aber auch Kollektive mit ihren Ausstellungskonzepten bei uns für das Folgejahr bewerben. Da bei uns in erster Linie, kollektives Arbeiten, die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten sowie ein Bewusstsein für Alternativkultur ab vom Mainstream zählen, geht es bei den Ausstellungen nur nachrangig um den Verkauf der Arbeiten. Die führt im Vergleich zu Ausstellungen in klassischen Galerien zu einer größeren Freiheit innerhalb der Ausstellungsformate.

Noch bin zum 13.01.19 läuft in Berlin eure Ausstellung „HABITAT HAPPY“. Was erwartet die BesucherInnen in euren Räumen?

Für die Ausstellung wurden 16 internationale Künstler*innen ausgewählt. Die gezeigten Werke setzen sich mit der Thematik Wohnraum, Verdrängung und städtischer Armut auseinander. Dafür kamen einige unserer Künstler*innen aus dem Wedding angereist, andere aus Mexiko oder Korea – es sind also internationale Perspektiven auf das Thema in der Ausstellung vertreten. Von Wandplakaten über Wachsskulpturen bis hin zu Baugerüsten finden sich so ziemlich alle Medien im Ausstellungsraum wieder.

Gehören Ausstellungen, wie diese zu eurem Tagesgeschäft? Oder ist eure kommende Gruppenausstellung auch für euch etwas Besonderes, auch mit Blick auf die Energie und Ressourcen, die ihr dafür aufwendet?

So große Ausstellungen gehören nicht zu unserem Tagesgeschäft. Nur 1 bis 2 der 12 Ausstellungen die wir jährlich zeigen kuratieren wir selbst. Alle anderen Projekte werden mit den ausgewählten Bewerber*Innen gemeinsam umgesetzt. Die Produktion von Habitat Happy war herausfordernd und spannend. Einige Arbeiten wie zum Beispiel eine Skulptur der mexikanischen Künstlerin Amauta Garcia die den Living Levels Tower in Berlin thematisiert oder die Installation von Fábio Vierias und Bruno Rodrigues des Coletivo Arde Pixo wurden extra für die Ausstellung hergestellt. Wir sind ein gemeinnütziger Verein und deswegen auf Fördermittel angewiesen. Allein durch die finanzielle Hilfe unserer Unterstützer*innen, unseren freiwilligen Helfer*innen sowie die Mitarbeit der Künstler*innen selbst konnte diese Ausstellung umgesetzt werden. Einen herzlichen dank noch einmal an alle Mitwirkenden an dieser Stelle.

„HABITAT HAPPY“ - ein wirklich wunderbarer Name, gleichzeitig legt ihr mit eurer Ausstellung den Finger in eine aktuelle und zugleich tiefe Wunde: Wohnraum, Verdrängung und städtische Armut. Ein Themenkomplex, der mittlerweile fast in allen Regionen der Welt diskutiert wird und folgenschwere Probleme für einen Großteil der Stadtbevölkerung nach sich zieht. Warum habt ihr diese Themen ausgewählt?

Die Geschichte des Haus Schwarzenberg, unserem Vereinssitz ist eng mit den Entwicklungen die in „Habitat Happy“ angesprochen werden verbunden. 1995 wurde das historische Gebäude, das wir heute als unabhängiger Verein verwalten, durch die WBM ersteigert um die kulturelle Nutzung des Ortes für die Zukunft zu sichern. Zu dieser Zeit war die Gentrifizierung der Umgebung des Hackeschen Markts in Berlin-Mitte, zu DDR Seiten ein eher vernachlässigtes und in seiner historischen Bedeutung unbeachtetes Arbeiterviertel, bereits in vollem Gange. Heute ist die Rosenthaler Straße, die in den 90iger Jahren für zahlreiche Underground-Clubs und kulturelle Besetzungen bekannt von Flagship-Stores und Cafés bevölkert. Wir haben also Glück gehabt mit unserem „Habitat Happy“ – viele andere Institutionen und Projekträume mit denen wir uns solidarisieren allerdings nicht. Gleichzeitig glauben wir, dass die Kunst ein wenig mehr Position innerhalb zivilgesellschaftlicher Diskurse beziehen sollte. Immer wieder thematisieren wir beispielsweise fehlende Ateliers und Ausstellungsräume, gleichzeitig sollten wir, die Kulturschaffenden und Künstler*Innen aber auch mehr Präsenz bei den Kämpfen der Mieter*inneninitiativen und Bündnisse wie beispielsweise Zwangsräumung verhindern zeigen.  Wohnraum ist ein Thema, das jeden etwas angeht; es ist ein universelles Menschenrecht und auf einer sehr persönlichen Ebene, der Ort an dem wir geborgen sind, träumen und ausruhen können. Dass immer mehr Menschen um diesen Ort, und damit auch um ihre Existenz, bangen müssen, kommt in den gezeigten Arbeiten der Ausstellung auf sehr unterschiedlicher Weise zum Ausdruck.

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Ihr betrachtet die Themen 'Wohnraum, Verdrängung und städtische Armut' aus dem Blickwinkel zeitgenössischer Kunst aber auch hinsichtlich kreativer Protestformen. Warum habt ihr euch für diese beiden Perspektiven entschieden? Liegen diese Perspektiven auch außerhalb solcher Ausstellungen dicht nebeneinander?

Wir versuchen auf diese Weise eben beide Perspektiven miteinander zu verbinden. Wohnraum als einen persönlichen Raum, einen Rückzugsort mit einer enormen Bedeutung für die Entwicklung und Entfaltung individuellen Glücks. Und gleichzeitig einen umkämpften Raum, für dessen Bewahrung wir uns als Gesellschaft einsetzen müssen.

Versteht ihr euch in dem Themenkomplex 'Wohnraum, Verdrängung und städtische Armut' als politischer Akteur mit klarer Position oder stellt ihr erst einmal nur den Raum, um Entwicklungen und Diskussionen abzubilden?

Zunächst stellen wir eine Plattform an der diese verschiedene Positionen zusammenkommen und einen Dialog herstellen. Gleichzeitig haben wir aber auch versucht die Galerieräume zu verlassen und uns mit verschieden Mietinitiativen in Verbindung gesetzt. Am Samstag wollen wir bei einem gemeinsame Stadtspaziergang einige von ihnen besuchen und mit ihnen über ihre aktuelle Situation sprechen. Hierzu laden wir alle Interessierte herzlich ein mitzukommen.

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Ihr habt das „Coletivo ArdePixo“ aus São Paulo eingeladen. Die Biennale hatte 2012 vier Pichadores zu Besuch, ihr Workshop in der St.-Elisabeth-Kirche in Berlin ist aus Sicht der VeranstalterInnen damals komplett aus dem Ruder gelaufen, die Kritik von Seiten der vier Protagonisten aus São Paulo viel danach sehr deutlich aus. Wie beurteilt ihr den 'Konflikt' (Anmerkung: In der Dokumentation „Pixadores“ von Amir Escandari ist die besagte Szene in der Kirche sehr sehenswert festgehalten)? Was erwartet ihr vom Besuch der Coletivo ArdePixo?

Bruno Rodrigues und Fábio Vieria waren für drei Wochen bei uns als Residency-Künstler zu Gast. In Berlin haben sie eine ortsspezifische Installation „Baraco“ direkt für die Ausstellung entwickelt die ihr noch bis zum 13.01. sehen könnt. Am 05.01.19 hatten wir, unterstützt durch die Rosa Luxemburg Stiftung, die Möglichkeit „Olhar Instigado“, eine Dokumentation über Straßenkunst in Sao Paulo erstmals in Berlin zu zeigen. In der Doku wir der Arde Pixo Künstler Bruno Rodrigues porträtiert. Im Anschluss der Filmvorführung nutzten wir den Berlin-Aufenthalt der beiden, für eine Diskussionsveranstaltung in der wir gemeinsam mit dem Publikum Pixação und künstlerischen Widerstand im Kontext aktueller faschistischer Tendenzen thematisieren konnten. Dieses äußerst aktuelle und brisante Thema hat sehr viele Interessierte angesprochen, was uns und Arde Pixo total gefreut hat. Für alle die es verpasst haben, wird es bald einen Mitschnitt der Veranstaltung unter www.neurotitan.de geben.

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Bei uns eine Tradition, die letzten Worte gehören euch:

Wir würden uns freuen, wenn ihr an einer unserer beiden Abschlussveranstaltungen am Wochenende (11.-13.01.) teilnehmen würdet. Hier noch einmal alle Infos dazu und hoffentlich bis bald.  

Annika Hirsekorn für das Team von Habitat Happy 

Wir werden versuchen bis zum 13.01. in euren Räumen vorbeizuschauen. Viel Kraft und Spaß in eurer letzten Woche. Danke, dass ihr euch die Zeit für unser Interview genommen habt und euch so geil reinhängt!



12.01.19 / 16Uhr - Stadtspaziergang "My Habitat Happy" (in Zusammenarbeit mit urbanophil)
Treffpunkt: Galerie neurotitan (Rosenthaler Straße 39, 10178 Berlin)

13.01.19 / 17Uhr Gespräch mit Peng! Kollektiv, Dies Irae u.w. Künstler*Innen der Ausstellung Habitat Happy 
Treffpunkt
: Galerie neurotitan (Rosenthaler Straße 39, 10178 Berlin)

17:00: Kuratorischer Rundgang durch die Ausstellung mit der Kuratorin der Ausstellung // 18:00: Kollektiver Zauberspruchworkshop "4 Walls, Heat & Wifi" mit Marissa Niederhauser // 19:00: Künstlergespräch mit Dies Irae, Kollektiv Peng!, Matthias Coers, Laure Catugier, Lenia Hauser und Björn Heyn

Mehr Infos auf www.neurotitan.de

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